In Schulbüchern fehlt weitgehend der positive Zugang zum Thema Migration, bemängeln Schüler und Forscher.

Foto: Robert Newald; Illustration: Der Standard

Je höher das Prestige einer Schule, desto niedriger der Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund. "Das ist kein universelles Phänomen" , wie Barbara Herzog vom Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens (Bifie) in Salzburg betont.

Die beachtlichen Unterschiede in der Lesekompetenz, die 2009 im Zuge der Pisa-Tests zwischen "einheimischen" Schülern und solchen mit Migrationshintergrund festgestellt wurden, liefern nur bei oberflächlicher Betrachtung ein Argument für diese Aufteilung: Während "Einheimische" im Durchschnitt (dürftige) 482 Punkte erreichten, kamen Schüler mit Migrationshintergrund der zweiten Generation auf 427, jene der ersten auf 384.

Dieses Ergebnis stimmt auch deshalb nachdenklich, weil in anderen Ländern kein direkter Zusammenhang zwischen dem Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund und Lesekompetenz festgestellt werden kann. "Die durchschnittliche Lesekompetenz ist dort nicht besser, wenn der Migrantenanteil klein ist", sagt Herzog. "Länder mit besonders guten Ergebnissen haben sogar einen eher hohen Anteil. Meist sind das traditionelle Einwanderungsländer, die sehr professionell mit Migration umgehen."

Diese Länder haben zudem von Anfang an eine andere Selektionspolitik betrieben als Österreich, das jahrzehntelang gezielt billige Arbeitskräfte ins Land holte. Das spiegelt sich nun im sozioökonomischen Hintergrund großer Einwanderergruppen wider. Einer der wichtigsten Einflussfaktoren auf die Schulleistung ist der Bildungsstatus der Eltern. Während Schüler, deren Eltern maximal über einen Pflichtschulabschluss verfügen, beim Lesen durchschnittlich 399 Pisa-Punkte erreichten, kamen die zehnjährigen Akademikersprösslinge auf 520 Punkte.

Ein Leistungsunterschied, der mit 120 Punkten bedeutend größer ist als jener, der sich durch den Migrationshintergrund der Schüler ergibt. So hinken Schüler mit Migrationshintergrund ihren einheimischen Kollegen um 68 Punkte hinterher, die sich allerdings auf 45 Punkte reduzieren, sobald man den sozioökonomischen Status der Eltern berücksichtigt.

Ererbte Defizite

Im internationalen Vergleich ist selbst dieser Wert auffallend schlecht. Besonders irritierend sind die Ergebnisse zweier Bifie-Studien aus den Jahren 2006 und 2011, wonach Motivation und Schulfreude bei zehnjährigen Schülern mit MH signifikant höher sind als bei einheimischen Kindern. Das wirft Fragen auf, die im Rahmen der internationalen Tagung "Hat (nichts) mit mir zu tun!" (10. April 2013, 10 bis 18 Uhr, Aula auf dem Campus der Universität Wien, Altes AKH, Hof 1.11) in Wien zum Umgang mit Migration(en) in Schulbüchern und Unterricht zur Sprache kommen werden.

"In der Diskussion über Schule und Migration wird häufig nur ein Einflussfaktor herausgegriffen", sagt Herzog, die über die in den aktuellen Daten sichtbar werdenden Widersprüche referiert. "Um Fortschritte zu erzielen, muss jedoch über den Bildungshintergrund der Eltern ebenso diskutiert werden wie über die Klassenzusammensetzung, die Schulstrukturen oder gesellschaftliche Rahmenbedingungen, denn Interventionen müssen parallel auf mehreren Ebenen ansetzen."

Das beginne bei den Kindergärten und -krippen, deren Qualität in Österreich den Anforderungen einer mehrsprachigen Gesellschaft nicht entspreche. "Aus Langzeitstudien anderer Länder weiß man, dass eine hochqualitative Kindergartenbetreuung etwa die Entwicklung der Lesekompetenz entscheidend verbessert, da die Basis für die kognitive Entwicklung im vorschulischen Alter gelegt wird."

Dass Migration in Österreich in erster Linie als Problem gesehen wird, spiegelt sich auch in Schulbüchern wider. "Hier herrscht ein Problemdiskurs vor, der allenfalls durch einen Nützlichkeitsdiskurs ergänzt wird", erklärt Christa Markom vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Europäische Geschichte und Öffentlichkeit, die gemeinsam mit ihren Kolleginnen Christiane Hintermann und Heidemarie Weinhäupl die Tagung veranstaltet. In einem "Sparkling Science"-Projekt, gefördert vom Wissenschaftsministerium, konnten die Forscherinnen mittels Schulbuchanalysen und in Workshops mit Schülern der 6. bis 12. Schulstufe an unterschiedlichen Schultypen zahlreiche Schwachstellen im schulischen Umgang mit Migration in Schulbüchern feststellen und Vorschläge und Unterrichtsmaterialien erarbeiten. "Von den Schülern wird etwa kritisch wahrgenommen, dass ein positiver Zugang zum Thema Migration weitgehend fehlt", sagt Markom.

Gemeinsam mit den Schülern haben die Forscherinnen auch eine Geschichte der Migrationsbewegungen nach und von Österreich ausgehend erarbeitet, aus der hervorgeht, dass auch viele Einheimische einst Migranten waren. "Letztlich geht es darum, den Schülern Migration als Teil der eigenen Geschichte begreifbar zu machen - und zwar nicht nur jenen mit Migrationshintergrund." (Doris Griesser, DER STANDARD, 10.4.2013)